Der Miasmenturm dient lediglich der besseren Anschaulichkeit von Wechselwirkungen und Entwicklungen miasmatischer Belastungen. Was Miasmen sind, ist in einem weiteren Beitrag beschrieben. Zur Veranschaulichung wurde bewusst der Wehrturm einer Burg oder sonstiger Verteidigungsanlage gewählt. Unser Körper ist ein solcher Wehrturm, der sich seit seiner Zeugung/Entstehung (Inkarnation) pausenlos gegen schädliche Einflüsse aller Art seitens der materiellen Welt zu erwehren hat. Was auch immer in den Körper eindringt, löst miasmatische Prozesse aus. Das oberste Prinzip aller miasmatischen Prozesse ist, das Leben zu erhalten und Defekte zu heilen oder zumindest dem jeweiligen Miasma entsprechend zu kompensieren. Beispielhaft sei dafür die Schürfwunde der Haut genannt. Der Körper tut gut daran, die Wunde schnellstmöglich zu schließen, da sonst Keime und ggf. auch schädliche Substanzen durch den Hautdefekt in den Körper eindringen können. Der Körper aktiviert Selbstheilungskräfte, ohne die die Medizin wahrlich vor einem großen Problem stünde. Manchmal gelingt dem Körper die Aktivierung dieser Selbstheilungskräfte aus eigenem Antrieb aber nicht mehr, was insbersondere bei schweren Erkrankungen (unterer Bereich des Miasmenturms) der Fall ist. Das ist dann die Stunde der miasmatischen Homöopathie.

Beginnen wir mit unserer Erläuterung an der Turmspitze. In allen Religionen finden wir die postulierte Existenz des sogenannten Paradieses, eines immateriellen Bereichs, in welchem sich unsere Seele vor der Inkarnation (Fleischwerdung) und/oder nach dem Tod aufhalten soll. All das, was uns auf der Erde bedroht, gibt es dort nicht. Oder doch? Es droht zumindest die Reinkarnation.

Der paradiesische Zustand wird durch den freundlichen Stern über dem Miasmenturm symbolisiert. Mit der Inkarnation befinden wir uns dann zwischen den Turmzinnen, symbolisiert durch das Yin-Yang-Zeichen, welches das Gleichgewicht der gegensätzlichen Kräfte in der TCM (ursprünlich in der Chinesischen Philosophie, Daoismus) beschreibt. Der Kampf ums Überleben hat begonnen.

Zwischen den Zinnen schützt uns der Turm nur eingeschränkt, so wie der gerade geborene Säugling erst noch seinen Immunschutz in den kommenden Monaten aufbauen muss. Bis dahin wird er von mitgegebenen Immunkörpern der Mutter geschützt.

Durch die pausenlosen Angriffe auf unseren Körper verlassen wir irgendwann die Turmspitze und steigen langsam die Treppen hinab bis in den Turmabschnitt der Psora. In der Psora gelingt es uns, Eindringlinge von außen durch unsere Hülle (Haut) vom Körper fernzuhalten oder nach dem Eindringen in die Haut wieder zu eleminieren. Wir haben im oberen Turmbereich einen guten Überblick über das feindliche Umfeld und können Eindringlinge von daher effektiv abwehren; unser Immunsystem ist weitestgehend gesund.

Gelingt es dem Angreifer jedoch, den Turm zu besteigen und in diesen einzudringen, dann bleibt zum Überleben nur noch der Rückzug in die unteren Etagen des Turms, sozusagen in den Kernbereich der Abwehr. In Analogie dazu dringt eine Krankeit immer tiefer in unseren Körper ein. Zunächst ist die Haut betroffen, dann stellen sich Funktionsstörungen verschiedener Organe ein, letztlich sind lebenswichtige Organe einschließlich des Knochengerüsts strukturell betroffen.

Der Körper hat je nach Eindringtiefe der Krankheit unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten: Er wehrt sich durch sofortige Eliminierung der Eindringlinge (Psora), durch Einkapselung der Eindringlinge (Tuberkulinie), durch vermehrte Drüsensekretion und Aktivierung der lymphatischen Organe vorwiegend im Kopf- und Halsbbereich (Skrofulose), durch Abwehr von Fremdeinflüssen in Form von „Besetzungen" (Parasitose), durch Abspaltung und Verselbständigung (Carcinogenie), durch Ausschwemmung mittels entzündlicher Exsudate (Sykose I), durch Eindickung und Absonderung entzündlicher Exudate (Sykose II), durch Gewebevermehrung u. a. zwecks Deponierung von Stoffwechselschlacken (Sykose III) und zuletzt durch die Aufgabe von Körperteilen (Syphilinie). Die Syphilinie wird von daher auch als das destruktive Miasma bezeichnet.

Je weiter wir im Turm herabsteigen, desto härter ist der Kampf des Körpers gegen die Fremdeinflüsse, also letztlich gegen die Krankheit. Das Verlies im unterirdischen Teil des Turms, aus dem es ohne fremde Hilfe kaum noch ein Entkommen gibt, symbolisiert die Syphilinie, das Miasma der Zerstörung, des Empathieverlusts und der überwiegenden Schmerzlosigkeit.

Im unteren Teil des Turms treffen wir auf längst vergessenes Gerümpel, welches die Verteidigung nachhaltig behindert. In Analogie zu unserem Körper sind das Stoffwechselschlacken, welche die Heilungsprozesse deutlich erschweren. Von diesen müssen wir uns im Laufe der Therapie nach und nach trennen.

Es ist Aufgabe des miasmatisch arbeitenden Homöopathen zu erkennen, welches Miasma dem Patienten zugeordnet werden muss, weil dies für die Mittelwahl zur gezielten Aktivierung der Selbstheilungskräfte entscheidend sein kann. Wichtig zu erkennen ist zudem, ob es sich um einen vorübergehenden miasmatischen Zustand/Prozess handelt oder ob der Patient in „seinem" Miasma fest verankert ist. Noch größerer Erfahrung bedarf es zur Steuerung der dynamisch-miasmatischen Prozesse nach Beginn der Therapie. Ziel der Therapie ist es, dem Patienten den Weg zur Turmspitze zu weisen. Dazu müssen verschiedene Miasmen gezielt rückwärts durchlaufen werden.

 

Legende:

SM symbolisiert das Spiegelmiasma zwischen der Tuberkulinie und der Syphilinie.

Wer sich für Miasmen in der Homöopathie näher interessiert, sei auf die einschlägige Literatur verwiesen.